Auch wenn die Song-Zusammenstellung auf dem 3CD/Blu-ray-Set "A Flare On The Lens" befremdlich anmutet, wird es BIG BIG TRAINs Live-Performance in Gänze gerecht. Die Band trat im September 2023 an zwei aufeinanderfolgenden Abenden in der Londoner Cadogan Hall auf, und der Mitschnitt umfasst das vollständige zweite Konzert sowie sieben weitere Tracks - überragende Standards: 'East Coast Racer' und 'Victorian Brickwork' -, die bei der ersten Show gespielt wurden. Das ergibt insofern Sinn, als Überschneidungen vermieden werden.

Die Mischung macht's sowieso: Das Ensemble bot sowohl alte als auch neue Kompositionen und erheblich umarrangiertes Material. Mit "A Flare On The Lens" wird zudem die neue Besetzung vorgestellt, die nicht nur hervorragend aufeinander eingespielt ist, sondern auch eine äußerst dynamische Setlist zusammengestellt hat. Der Spannungsbogen des kompletten Auftritts entspricht einer emotionalen und spieltechnischen Berg-und-Tal-Fahrt, wie man sie von einer der führenden Progressive-Rock-Bands der Gegenwart erwartet.

Der Schwerpunkt liegt auf der siebten und achten Big-Big-Train-LP, dem zweiteiligen "English Electric"-Werk, wobei es zu mehreren Live-Premieren kam und ein besonderes Augenmerk auf Alberto Bravin gelegt werden kann; der seit 2022 zur Band gehörende Sänger ist ein ziemlich klassischer Frontmann, also nicht unbedingt typisch für dieses Genre, und verleiht dem Material aus der Ära David Longdon - schöner Tribut an ihn: 'Telling the Bees' - einen frischen Dreh - nachzuhören bereits im aufregenden Opener 'Folklore' und sogar noch effektiver, wenn Drummer Nick D'Virgilio mitsingt (der seinen alleinigen großen Moment wiederum in 'Drums & Brass' erlebt).

An der Instrumentalfront spielen BIG BIG TRAIN indes ihre Kernkompetenzen aus, indem sie akustische Momente mit kraftvollen/virtuosen Rockparts kontrastieren oder verzahnen. Exemplarisch dafür stehen das packende Instrumental 'Apollo' (von "Common Ground" 2021) und das akustische Medley aus 'Leopards', 'Meadowlands' und 'Wassail'.

Was die Blu-ray betrifft, so haben wir es mit einem recht klassischen Konzertfilm zu tun, der für Prog-Verhältnisse überdurchschnittlich unterhaltsam ist. Der hohe Saal an sich macht eine Menge her, ohne dass schwerere Requisiten-Geschütze aufgefahren werden müssten, und während die Keyboards zentral auf der Bühne stehen, kommen alle Mitglieder gleichwertig zur Geltung (auch Violinistin Clare Lindley). Dazu passt die dezente Lichtshow und das nahbare Verhalten der Bandmitglieder gegenüber dem Publikum.

FAZIT: "A Flare On The Lens" ist trotz seines beträchtlichen Umfangs ein Livealbum, das sich auf die wesentlichen Werte solcher Releases beruft - eine spielfreudige Band, eine alles andere als blutarme Bühnenshow und natürlich gute Musik, mit der BIG BIG TRAIN im Vergleich zu manchen britischen oder skandinavischen Prog-Acts immer noch zu wenige Menschen erreichen.