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Interview mit Nocte Obducta (21.11.2008)
NOCTE OBDUCTA nehmen Abschied. „Sequenzen einer Wanderung“ wird die letzte reguläre Veröffentlichung dieser deutschen Band sein, die im Black Metal begann und die Genregrenzen eines bisweilen abgeschotteten Genres stetig ausweitete. Marcel Breuer sieht seine Band jedoch nicht im Avantgarde-Umfeld, in das NOCTE OBDUCTA immer wieder mal gern eingeordnet wird. Doch lest selbst…
Hallo Marcel, wie es aussieht, ist „Sequenzen einer Wanderung“ das letzte Album NOCTE OBDUCTAs. Beginnen wir dieses Interview ein wenig ungewöhnlich mit einem Zitat aus einem Gedicht Hermann Hesses, das sich simpel „Stufen“ nennt:
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.“
Am Ende des Gedichtes heißt es dann: „Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“ Geht Ähnliches in dir vor, wenn du daran denkst, NOCTE OBDUCTA von nun den Rücken zuzukehren? Oder ist deine Gefühlswelt eine ganz andere?
Hm ... das trifft schon zu, beschreibt aber nicht alles. Es stimmt schon, dass der Aspekt Gesundung ein sehr wesentlicher war. Insbesondere die Zeit ab Sommer 2004 war für Nocte Obducta oftmals wirklich übel. Das ging zwar auch Interna an, diverse Besetzungswechsel nach "Nektar" legen davon ja ausreichend Zeugnis ab, aber insbesondere ging es um externe Dinge. Die Zusammenarbeit mit manchen Dritten, wie ich es so gerne sage, war bisweilen katastrophal und wurde Ende 2005 regelrecht apokalyptisch. Die zweijährige Verzögerung von "Sequenzen" und ein derzeitiger Puls sind die vorerst letzte Blüte dieser Geschichte. Von daher kommt zu der Erleichterung und dem Gefühl von Freiheit oder Gesundung auch immer noch eine ordentliche Schippe Wut.
Manch einer war mit eurer stilistischen Wanderung vom Black Metal in avantgardistischere Gefilde nicht zufrieden. Spielte das tatsächlich eine Rolle bei der Entscheidung, das Wirken NOCTE OBDUCTAs zu beenden?
Nun ja, erst mal will ich dazu sagen, dass ich nicht der Meinung bin, dass wir in avantgardistische(n) Gefilden unterwegs waren. Der Begriff Avantgarde Black Metal stammt nicht von uns, und macht auch eigentlich nur Sinn, wenn man ihn vom Black Metal aus betrachtet. Ich will damit sagen, dass wir keine wirkliche Avantgarde-Musik gemacht haben, das einzige, was diesen Anschein erweckt hat, war die Tatsache, dass wir innerhalb einer sehr, sehr limitierten Szene sehr viele Grenzen für uns nicht haben gelten lassen.
Du liegst mit Deiner Vermutung aber schon richtig, zumindest teilweise. Wir haben einfach gemerkt, dass da, wo wir waren, die Anzahl derer, die uns nicht verstanden oder unseren Weg nicht akzeptierten, ein wenig zu groß wurde, und dann verliert man jegliche Freude an der Musik unter diesem Banner.
Wir waren uns anfangs nicht sicher, ob wir den Namen ändern sollten, als wir im Frühling 2006 beschlossen, eine Pause ohne Bühne und mit anschließendem weitgehenden Verzicht auf das Material der ersten sieben Alben einzulegen. Aber es schien uns dann doch sinnvoller, auch den Namen aufzugeben. Zum einen hatte es für uns selber Symbolcharakter, ich verweise auf die Gesundung in Deiner ersten Frage, zum anderen war es weniger verwirrend für die Fans. Für mich ist zwar die Bandgeschichte nicht zu Ende, denn was 1993 unter dem Namen Desîhra gegründet wurde, agierte dann von 1995 bis 2006 als Nocte Obducta und heißt seitdem Dinner Auf Uranos, aber der Hörer macht ja immer gerne klare Genreeingrenzungen, und der Wegfall von Screams und Blastbeats, sowie ein wesentlich dynamischeres und organischeres Gesamtbild wären vielleicht doch zu viel auf einmal gewesen.
Die Grundstimmung von „Sequenzen einer Wanderung“ ist ruhig, entspannt, mitunter sphärisch. Welche Lebenseindrücke von euch werden hier vertont?
Das kann ich so genau gar nicht sagen. Sicherlich ist einiges an negativen Empfindungen dabei, das war ja schon immer der Fall, aber bei den Sequenzen ist es doch das Träumerische, das Erzählungen oder (Kindheits)erinnerungen hervorruft, ein wesentlicher Faktor. Es vermischt sich hier irgendwie eine wirklich aus dem Leben heraus empfundene Aufbruchstimmung oder der Wunsch nach Veränderung und Freiheit mit dem, was beim Lesen eines Buches oder aber in den eigenen Erinnerungen passiert.
Bei welchen Gelegenheiten habt ihr die gesprochenen Passagen aufgenommen? Es klingt so, als hätte man ein Mikro versteckt und ihr wüsstet nichts davon. Es scheinen zufällig aufgenommene Momente eures Lebens zu sein. Erzähl doch mal etwas darüber.
Es sind gar nicht wir, die man da hört, bzw. uns hört man nur undeutlich im Hintergrund. Wir haben da eine Idee bei Pink Floyd geklaut. Im Frühling 2006 habe ich verschiedene Begriffe und Fragen, die aus dem Themenkreis Abschied, aber vor allem Neubeginn und Wandlung / Wanderung stammen (denn das Album wurde komplett konzipiert und geschrieben, bevor wir uns zur Pause / Auflösung entschlossen, das kommt leider immer falsch an), auf Karten geschrieben. Wir haben dann einfach ein paar Bekannte gebeten, spontan und meist ohne Wissen um den genauen Hintergrund der ganzen Sache ein paar Takte zu jeder Karte zu erzählen. Aus Tonnen von Material haben wir dann einige Passagen aufs Album gepackt.
Kennst du die „Vocari Dei“ vom PAIN OF SALVATION-Album „Be“? Es wurde dazu aufgerufen, unter einer bestimmten Nummer bei der Band anzurufen und auf den Anrufbeantworter eine Nachricht an Gott zu hinterlassen. Aus einer Vielzahl an Anrufen wurden dann einige Beiträge zusammengeschnitten und mit Musik hinterlegt. Herausgekommen ist dabei ein erstaunlich ergreifendes Stück. Wie erklärst du dir die emotionale Kraft gesprochener Passagen und warum geraten viele „Spoken Words“ leider einfach nur peinlich?
Zum ersten Teil der Frage: Nein, kenne ich nicht. Zum zweiten Teil: Die so genannten "Spoken Words" können schnell peinlich werden, wenn sie entweder keinen direkten lyrischen Kontext mehr haben, sondern nur noch "Gedanken zur Welt im Allgemeinen und Speziellen" sind. Der Versuch, ernsthaft und erhaben zu klingen, geht da meist nach hinten los, weil es einfach unnatürlich ist, sehr persönliche Dinge in Schriftdeutsch vorzutragen, kein Mensch redet so, und dann klingt es sofort als hätte der nicht ausgebildete Sprecher ein vergleichsweise umfangreiches Arsenal an sperrigen Gebrauchsgegenständen im Arsch. Wir haben das gar nicht erst probiert, sondern Leute einfach erzählen lassen. Mit "äh" und Wiederholungen dabei, genuschelten Stellen und blöden Witzen, die ohne den Kontext sicher einfach nur albern gewesen wären.
Erklär uns doch mal, warum viele euch als „vollkommen unterbewertete Band“ und andere euch wieder als „völlig überbewertete Band“ bezeichnen. Liegt das nur daran, dass ihr eure Musik nicht nach Schema-F komponiert?
Mag sein. Ich denke, viele halten uns deshalb für völlig unterbewertet, weil vielleicht der ein oder andere mitbekommen hat, dass wir nix verkaufen. Wir sind halt sowas wie eine Kult-Band im Underground, das heißt, kaum einer kauft uns, aber wenn mal was ausverkauft ist, dann wird's auf eBay gleich schweineteuer. Die Plattenkritiken sind zwar in der Regel gut bis sehr gut, aber da wir immer recht sperrig und unberechenbar waren, haben wir nie irgendwohin gepasst, und so haben wir auch niemals wirklich Einheiten abgesetzt. Irgendwie kennt jeder Nocte, aber hören tut es wohl ein eher kleiner, dafür aber größtenteils wirklich ernsthafter Kreis.
Für überbewertet halten uns vermutlich diejenigen, die uns schlichtweg nicht mögen, aber lesen und vielleicht auch hören, dass wir meist in den höchsten Tönen gelobt werden, was sie vielleicht zu der irrigen Annahme führt, wir seien auch in jedermanns Plattenschrank oder Kopf. Obwohl wir natürlich im Musikgeschäft ein Staubkorn sind im Vergleich mit – nennen wir's beim Namen – flächendeckenden Popbands wie Dimmu Borgir, Amon Amarth und Darkthrone (obwohl ich letztere sehr schätze). Wir haben außerdem sicherlich viele Kritiker in der true-Fraktion, und auch wenn gerade diese Leute die größten Mode-Pussies und Herdentiere sind, die man sich vorstellen kann, dürften alleine schon ein Bruch mit optischen BM-Etiketten und Mut zu Ironie und Melodie für den Aufkleber "kommerziell" reichen, obwohl bei uns natürlich das krasse Gegenteil der Fall ist.
Weiter geht es nun mit „Dinner auf Uranos“. Hat dieser Name einen tieferen Sinn oder soll er einfach nur interessant klingen? Sind da noch größere musikalische Überraschungen zu erwarten?
Einen tieferen Sinn hat er nicht, er soll auch möglichst ein nicht zu konkretes Bild in den Köpfen hervorrufen, sondern lediglich eine Stimmung. Einen Bezug hat er aber schon. Und zwar zu einer sehr skurrilen (Kurz)geschichte, die ich im Frühling 1994 einmal geschrieben habe. Darin gibt es eine Passage, die - eigentlich nur inspiriert von einer Alltagssituation - verquickt ist mit dem Sprach- und Bildkosmos eines gleichzeitig entstandenen Textentwurfs, aus dem dann letztlich die Lieder "Des schwarzen Flieders Wiegenlied" und "In einem Mittsommernachtsschatten" entstanden. Hört sich jetzt verworren an, ist aber wirklich so.
Was erhoffst du dir von deinem weiteren musikalischen Werdegang? Gibt es da etwas, dass du noch machen möchtest, „bis es Zeit ist zu gehen“?
Ja, verdammt viel Musik. Und natürlich Koksnutten und Truhen voller Goldukaten und Mango-Eis. Dass das ganze tatsächlich mal irgendwelche materiellen Früchte trägt, wäre natürlich wirklich wünschenswert. Ich spreche hier nicht davon, von der Musik zu leben, aber so ein paar Euro statt immer nur Investitionen, das wäre weniger als nur fair. Mal einen Auftritt mit gutem Sound und geilem Licht und guter Orga, das wäre auch mal was. Am besten vor Publikum und in ordentlicher Spiellaune.
Ansonsten hoffe ich, dass irgendwann das Debüt von Dinner Auf Uranos rauskommt, das den Arbeitstitel "50 Sommer - 50 Winter" trägt (dazu müssen wir es allerdings erst mal fertig aufnehmen), außerdem mindestens noch zwei weitere Alben, denn ein weiteres ist schon fast fertig geprobt, ein drittes plus X in der Schublade. Sagen wir, zuzüglich dessen, was neu entsteht, reicht das Material sicher für ebenso viele Alben wie wir mit Nocte aufgenommen haben ... wir schöpfen ja auch immer noch teilweise aus dem Nocte-Fundus, weil für uns wie gesagt keine wirklichen Grenzen zwischen den Bands bestehen bis auf stilistische Details und die Abkehr von einer klar umrissenen Szene.
Ich will außerdem mindestens ein Album mit Thâlsperre machen, einem Projekt, das ich seit Frühling mit Flange betreibe. Und mit meinem Soloprojekt Cüün wäre auch Material am Start. In zwei Richtungen ... einmal gar nicht so weit weg von Dinner, einmal mehr in Richtung eines Kopfkinosoundtracks ... irgendwo zwischen Filmmusik, "Sequenzen" und dem, was man heute Postrock nennt. Also insgesamt noch circa 463846748956748 Alben und Projekte ... und ein paar geile Gigs. Ach ja, und mit Nocte wollen wir wohl so als Projekt nochmal etwas wirklich Hässliches im Stile der "Schwarzmetall" machen. Aber langsamer und bedrückender. Mit Mitgliedern aller möglichen Besetzungsperioden der Band. Das wollen wir aber nicht als Reunion verstanden wissen, denn es wird nicht auf die Bühne gehen, auch ist nichts Weiteres geplant. Aber ein Album wie dieses schwebte uns schon seit Jahren vor und wäre auch als "Projektarbeit" neben unseren musikalischen Hauptaktivitäten tatsächlich umsetzbar. Die tatsächliche Veröffentlichung von "Sequenzen einer Wanderung" wäre auch noch so eine Sache, die mir am Herzen läge ...
Dann wird es jetzt Zeit für ein paar Abschiedsworte…
Na dann, kauft Euch das Album oder lasst es bleiben, aber bitte zieht es verdammt nochmal nicht aus dem Netz. Der Konsument kann sich überhaupt nicht vorstellen, was das für katastrophale Folgen für jegliche Musiker- und Firmenbudgets hat. Es wird Bands wie Nocte / Dinner praktisch nicht mehr möglich sein, Alben wie die letzten Jahre einzuspielen, da weder Bands noch Plattenfirmen sich so etwas leisten können. Ist so.
Und die bescheuerten Rechten, die in ihrer Beschränktheit auf einmal angefangen haben, Nocte zu hören und unsere Musik nebst ihrer faschistoider Kacke ins Netz stellen, sollen mal ganz schnell aufhören, unsere Musik mit ihren zugekackten Ohren zu beschmutzen.
Ich wünsch dir alles Gute und Danke für das Interview!
Danke, ebenso ...
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