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Henry Spencer: The Defector (Review)

Artist:

Henry Spencer

Henry Spencer: The Defector
Album:

The Defector

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Jazz, Fusion, Rock

Label: AMP Music & Records
Spieldauer: 42:23
Erschienen: 29.09.2023
Website: [Link]

Manchmal ist es echt ein Dilemma.
Da gerät um einen herum die Welt offensichtlich immer mehr aus den Fugen und es wäre höchste Zeit, sich auch als Musiker in seiner Musik und seinen Songs ausdrucksstark zu Wort zu melden, das herauszuschreien oder herauszusingen, was einen bewegt und ärgert und unerträglich erscheint – oder was bei einem den moralischen Kompass in die völlig falsche Richtung ausschlagen lässt, lauthals anzuprangern.
Aber man ist zwar Bandleader, aber 'nur' der Trompeter einer Band, die eben auf Jazz und Fusion, aber nicht auf Text und Worte fixiert ist. Was macht man da nur?

In genau diesem Dilemma steckt HENRY SPENCER, ein junger britischer Jazz-Trompeter der absoluten Spitzenklasse, dessen Fusion aus Jazz, Rock, Prog, Minimalismus und Pop-Elementen einzigartig ist – und trotzdem eindeutige Vergleiche zu MILES DAVIS zulässt. Der Mann und seine Trompete ist eine unglaubliche Größe, denn ihm gelingt gemeinsam mit seiner Band (Man könnte schon bei den zusätzlichen vier Streichern von einem Mini-Orchester sprechen!), den Hörer mit seiner extrem spannungsgeladenen, nie übermäßig frei improvisatorisch ausbrechenden Musik von der ersten Minute an zu fesseln.

Doch dann gibt es da auch den besagten moralischen Kompass des Jazz-Trompeters Spencer, der dem eines JOHN LENNON beispielsweise verdammt ähnlich ist und zum Handeln im Interesse der Menschlichkeit, des Friedens und der Selbstbestimmung auffordert, den Spencer zwar von den unterschiedlichsten Stimmungslagen her in seiner Musik zum Ausdruck bringen, aber eben nicht in Worte kleiden kann. Dabei kann man fast hören, was Spencer mit seiner Trompete und seinen sieben ihn begleitenden Musikern in den unterschiedlichsten Stimmungslagen – laut und leise, filigran und orchestral, akustisch und elektrifiziert, klassisch und rockig – auch zu 'sagen' hat. Ohne Worte, aber mit der entsprechenden in sich zerrissenen und trotzdem Hoffnung verbreitenden Stimmung.

Also greift HENRY SPENCER für seine Botschaft hinter den instrumentalen Klangwelten von „The Defector“ auf einen Trick zurück, der den Hörer seiner LP noch vor dem ersten Hördurchgang in den Bann ziehen muss. Danach zieht jeden progressiv ausgerichteten Jazz-Freund, der gerne fusionierenden Jazz irgendwo zwischen MILES DAVIS und HERBIE HANCOCK mag, sowieso die Musik von „The Defector“ in den Bann. Spencer fügt seiner LP keine 'überflüssigen' Worte hinzu, sondern eine bedruckte LP-Innenhülle, auf der er uns eine dermaßen eindeutige Botschaft zu seinem Album hinterlässt, welches schon durch den Titel „The Defector“ (Überläufer/Deserteur) neugierig macht, dass einem in den Zeiten des Hasses und der Kriegstreiberei regelrecht eine Gänsehaut über den Rücken läuft, während die zweite Gänsehaut sich dann sofort beim Hören der LP ankündigt.

Für alle, die tatsächlich noch immer glauben, dass Musik gestreamt statt in Form von Alben gekauft werden sollte (oder die der englischen Sprache nicht ganz mächtig sind), machen wir uns darum hier die ehrenvolle Mühe, Spencers so wichtigen Text, den er in unmittelbarer Verbindung zu seiner instrumentalen Musik versteht, in deutscher Übersetzung zu verewigen:

Der Soldat, der aus einer Armee desertiert, die Kriegsverbrechen begeht.
Der Partner, der seine missbräuchliche Beziehung verlässt, um ein freieres Leben zu führen.
Der Politiker, der seine Partei aktiv herausfordert und verlässt, um die Demokratie zu schützen.
Der nordkoreanische Dissident, der sich lieber in Lebensgefahr begibt und die Grenze in eine völlig unbekannte Welt überquert, als weiter mit Diktatur, Tyrannei und Unterdrückung, der Verletzung von Menschenrechten und Meinungsfreiheit zu leben.
Ich kann das Leid und die Tapferkeit dieser Überläufer angesichts der extremen Gefahr nicht vollständig nachempfinden oder beschreiben, aber ich bin inspiriert von ihrer Zivilcourage, ihrer Stärke und ihrer Entschlossenheit, ihre Situation zu verbessern und anderen zu helfen, und bewundere sie zutiefst. Auch wenn es mir nicht gelingt, denke ich, dass es lohnenswert und ehrenwert ist, diese Qualitäten in unserem eigenen Leben nachzuahmen, wenn auch nur ein wenig.“

FAZIT: Ein Jazz-Rock-Album mit einer Botschaft, die auch ohne jegliche Worte auskommt, dafür aber in dieser außergewöhnlichen Kombination aus Jazz, Minimalismus, Progressivem und Rock sowie einem erstklassig gemixten Sound. Der britische Jazz-Trompeter HENRY SPENCER ruft in „The Defector“ auf seine unnachahmliche Art, die Erinnerungen an MILES DAVIS und HERBIE HANCOCK zu wecken vermag, dazu auf, in Situationen, in denen Unrecht geschieht, auf die richtige – sprich menschliche und moralisch verantwortliche – Seite überzulaufen. Wer diese Absicht nicht hört, der kann sie in den prägnanten, bewegenden Worten auf der LP-Innenhülle nachlesen. In diesem Sinne spricht aus dem Jazz-Trompeter und seiner achtköpfigen Band mit „The Defector“ auch ein JOHN LENNON – ganz ohne Worte, aber mit einem tiefen und zugleich erhebendem Gefühl.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 1876x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 14 von 15 Punkten [?]
14 Punkte
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Tracklist:
  • Seite A (22:04):
  • The Defector (5:39)
  • Perfect Hindrance (4:42)
  • Undone (5:19)
  • Moment Gained (6:24)
  • Seite B (20:19):
  • Introduction to Without a Voice (0:55)
  • Without a Voice (5:51)
  • Here (for Chicca) (5:04)
  • Overlap (3:29)
  • Not My Country (5:00)

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