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A.R. & Machines: 71/17 Another Green Journey (Review)

Artist:

A.R. & Machines

A.R. & Machines: 71/17 Another Green Journey
Album:

71/17 Another Green Journey

Medium: Do-CD/3-LP-Set
Stil:

Krautrock, Ambient, Psychedelic, Worldmusic

Label: BMG
Spieldauer: 106:34
Erschienen: 14.10.2022
Website: [Link]

„Bevor am heutigen Abend wunderliche Dinge geschehen, empfehle ich allen, es sich in den Sitzen bequem zu machen und innerlich auf eine Zeitreise einzustimmen. Wenn der Zauber gelingt, wird des vergangenen Jahrtausends krautrockiger Geist aus seiner Wunderlampe steigen… […] Wenn ich mich so umblicke, könnte man fast glauben, wir befänden uns in einem UFO, dann wollen wir doch mal sehen, wohin die Reise geht.“ (Achim Reichel am 15. September 2017 in der Hamburger Elblandphilharmonie)

Für viele, denen der Name ACHIM REICHEL nur – dank unserer so 'fein einseitig ausgerichteten' Radiokultur – mit der Neuen Deutschen Welle und den 80er-Jahre-Dauerkrachern „Aloa Heja He“ oder „Kuddel Daddel Du“ und „Auf der Rolltreppe“ sowie „Fliegende Pferde“ in den Sinn kommt, wird es eine faustdicke Überraschung sein, dass dieser Achim, dessen reichelsches NDW-Dasein, das zuvor übrigens auf rockigen THE RATTLES-Pfaden in bester BEATLES-Manier wandelte, (Sowie sein absolutes Highlight „Der Spieler“, der definitiv einer der besten und zugleich anspruchvollsten Songs dieser oft peinlich anmutenden deutschen Wellenbewegung war!) für seinen ungeheueren Bekanntheitsgrad verantwortlich war, maßgeblich schon in den 60ern und 70ern für Furore sorgte, als er ein bedeutendes Kapitel des Krautrock mitschrieb und sich dabei wild experimentierend und im besten Sinne von NEU!, EBERHARD SCHOENER, HARMONIA oder CAN auf (s)eine „Grüne Reise“ begab, in der er Elektronisches mit Weltmusikalischem und jeder Menge psychedelischer Experimentiererei verband. Noch dazu verfiel ihm in dieser Zeit sogar einer der ungewöhnlichsten und zugleich exzentrischsten Keyboarder aller Zeiten, der zu diesem Zeitpunkt mit seinem extravaganten Auftreten gerade bei ROXY MUSIC seine kreativen Bahnen zog und dessen Über-Ego mit dem des anderen Über-Egos ihres Frontmannes BRYAN FERRY kollidierte.

Das ahnte zu diesem Zeitpunkt allerdings ACHIM REICHEL, der sich grünreisend gerade ganz dem experimentell-psychedelischen Krautrock hingab, noch nicht im Entferntesten. Denn 1971 war, während ROXY MUSIC gerade noch an ihrem unglaublichen ersten Album werkelten, Reichel am intensiven Experimentieren mit Sounds, die ihm durch Zufall als Gitarristen in den Schoß gefallen waren: „Eigentlich wollte ich nur etwas mit der Gitarre aufnehmen, als, aus einem mir nicht ersichtlichen Grund, die Tonbandmaschine (eine Akai X-3330) plötzlich endlose Echokaskaden erzeugte. Auf einmal klang die eine Gitarre wie zehn. Diese Echos inspirierten mich zu ungeahnten musikalischen Ausdrucksformen, und die dabei entstandene psychedelische Anmutung gefiel mir ebenfalls. Da habe ich mir gedacht: Das isses.“ (Reichel im Booklet der CD+DVD-Ausgabe von „Die grüne Reise – The green journey" von A.R. & MACHINES)
Zugleich klärt diese Aussage auch darüber auf, wie es zu dem Bandnamen kam. Damals aber bezeichnete A.R. diese Reise noch als „fröhliche Abenteuer für Sinne, Geist und Triebe“.

Darum setzten wir ganz schnell einen triebhaften Schnitt und landen bei unserer 46 Jahre andauernden grünen Reise im Jahr 2017 und bei „71/17 Another Green Journey“ von A.R. & THE MACHINES.

An dem 71/17 im LP-Titel erkennt man, einem Palindrom und Paradoxon zugleich ähnlich, wie diese krautrockig-psychedelische Instrumentalreise durch Reichel wiederbelebt wird, denn „Was '71 begann, wird '17 eine Transformation erleben“. So jedenfalls kündigt er sein restlos ausverkauftes Konzert in der Elblandphilharmonie Hamburg an, dessen kompletter Text der Publikumsansprache im Inneren der wunderschönen – natürlich größtenteils in grün gestalteten (Auch drei farbig bedruckte Innenhüllen mit ganzseitigen Fotos von 1971 und 2017 fehlen nicht!) – dreiflügeligen LP nachzulesen ist. Noch dazu wartet dieses Triple-Album auf der letzten LP mit einer kleinen Sensation auf.

Die ersten beiden LP's verewigen das Konzert, welches den einleitenden Worten wirklich alle Ehre macht.
Hier begab sich ACHIM REICHEL als A.R. nun erneut am 15. September 2017 auf 'Die Grüne Reise' und nennt diesen Abend „The Art Of German Psychedelic“ (Nach so vielen Jahren spielt der Trieb eben nicht mehr solch dominante Rolle wie anno 1971...), an dem die Klangexperimente in der Hamburger Elbphilharmonie ihre Wiederauferstehung feiern. Für dieses Konzert stellte er eine MACHINES-Band zusammen, zu der unter anderem der Perkussionist Olaf Casalich gehört, der schon in den 70er-Jahren für A.R. & MACHINES trommelte und als weitere Musiker Nils Hoffmann (Keyboards, Gitarre), Achim Rafain (Bass), Yogi Jockusch (Perkussion) und Stefan Wulff (Livemix), die den Sound von vor damals genau 46 Jahren in die Gegenwart transferierten. Dieses Experiment war zwar gewagt, doch absolut gelungen, wie es nun die Aufnahmen auf „71/17 Another Green Journey“ klangvoll und im allerbesten Soundbild (Die 3-LP-Version ist ein durchgängiger Klanggenuss!) beweisen.

Vieles klingt sehr melodiös und harmonisch (Harmonischer – und damit in gewisser Weise auch 'altersweiser' – als auf der ursprünglichen Version!) und für das Publikum zum Mitwippen anregend. Manchmal glauben wir gar mit Peter Greens „Albatros“, der sich bei FLEETWOOD MAC erstmals erhob, mitfliegen zu dürfen.
Denn wer behauptet eigentlich, dass eine 'Grüne Reise' umweltverpestend mit dem Flugzeug angetreten werden muss?
A.R. & MACHINES jedenfalls klingen vielmehr nach einem natürlichen Fluggerät, das entweder auf Körperkraft oder meinetwegen Wind- und Solar- oder Wasserkraft setzt, statt einem (angeblich) wissenschaftlich ausgeklügelten Flugzeug, in dem beispielsweise ein Merz im Juli seinen Politiker-Antiklima-Arsch flattern lässt, um an die Lind(n)e® seinen Hochzeitsstrahl abzusondern, der verdächtig nach zu hohen CO2-Werten müffelt. Hauptsache, man/frau haben ihren Heiden-Spaß bei einer kirchlichen Trauung gehabt, während der Führer – oder genauer der Kanzler, der uns Führung versprochen hat, wenn wir Führung benötigen – dabei auch noch zuschaut. A.R. jedenfalls führt uns mit seiner Musik in die kunstvollen Höhen seelenvollen Klangs, aus denen neunmalkluge Plappertaschen längst – auch mit Flugschein – abgestürzt sind – oder wie es Reichel in dem Booklet zu seiner „Grünen Reise“ selber ausdrückte: „Es gibt einen Art von Erfolg, der sich auch ohne den üblichen Medienrummel entwickeln kann. Für mich eine freudige Erfahrung.“

Also begeben wir uns viel, viel lieber auf die echte – und zwar komplett klimaneutrale, freuderfahrene – „Grüne Reise“ vor unserem Plattenspieler.
71/17 Another Green Journey“ ist diese Reise jede Sekunde lang wert. Und auch wir werden beim Hören dasselbe Gefühl empfinden, wie es Reichel bei der Anmoderation des Konzerts in der Hamburger Elblandphilharmonie auszudrücken versucht und wie es uns einige Titelnamen bereits vorhersagen.
So muss man erstmal auf einen so wundervollen Titel wie „Im Irrgarten des Geistes“ kommen, der sich unmittelbar der „Another Green Journey“ anschließt und zugleich ein wahres psychedelisches Meisterstück ist, das die zweite LP abschließt und ein frenetisch abfeierndes Publikum hinterlässt.

Die neue 'Grüne Reise' kombiniert jedenfalls die zeitliche Spanne von 1971 bis 2017, indem sie diese kräutrig-psychedelisch mit viel Harmonie und weltmusikalischen Inspirationen überbrückt und Altes wie Neues in sich auf einer Live-Bühne vereint. Und um dem ganzen als 3-LP-Version noch die Krone aufzusetzen, wurde jede LP auf einem andersfarbigen, transparenten Vinyl gepresst, wobei die letzte natürlich ein dunkles Grün erhält.

Ja – die letzte LP.
Die ist etwas ganz Besonderes, denn sie enthält auf grünem Vinyl die Aufnahmen unter dem Titel „The Green Journey – Three Days In Studio“ und ist der totale Raritäten-Leckerbissen für alle A.R. & MACHINES-Freunde, denn hier gibt’s sie tatsächlich zu hören: Alle Aufnahmen der 'Grünen Reise', die in den besagten drei Tagen des Jahres 1970 (!!!) in den Hamburger 'Deutsch Grammophon Studios' mitgeschnitten wurden. Und das noch dazu in fantastischer Sound-Qualität.
Auch hierzu meldet sich A.R. im Inneren der Triple-LP zu Wort: „Und als wenn das noch nicht mysteriös genug wäre, werden wir auch noch aus einem verschollen geglaubten Schatz unveröffentlichter A.R & MACHINES-Tracks schöpfen können, der, vergessen von aller Welt, in einem Archivregal schlummerte, bis er, nach einem knappen halben Jahrhundert, Bekanntschaft mit neuzeitlichen High-Tech-Errungenschaften machte und ein neues Leben eingehaucht bekam.“

Die Aufnahmen erhielten ihr Mastering von den Original-Bändern und nun wird auch gesungen (Texte von Frank Dostal, dem Reichel-Partner, mit dem er unter dem Namen WONDERLAND den Jahrhundert-Song – zumindest für alle ehemaligen DDR-Bürger, der noch dazu in dem Film „Sonnenallee“ eine wichtige Rolle spielt – „Moscow“ schuf!), extrem wild experimentiert und frei improvisiert. Hier trägt der letzte Song, der wie eine wild gewordene Krautrock-Orgie, die aus dem Ruder zu laufen droht, klingt, den fast prophetischen Titel „Wahrheit und Wahrscheinlichkeit (Ein Lexikon zur Selbsterkenntnis)“ und wirft uns aus dem Album heraus, das damals eine geheime, fast unbeachtete psychedelische Krautrock-Mission, die aus einem überraschend-unerwarteten Effekt entstand, war und heute absoluten Kultstatus genießt. Und die nicht nur die Hörer, sondern auch andere Musiker bewegte, die in dieser Zeit gerade auf dem Weg zum Weltruhm waren.

So also wie auf der letzten der drei LP's klang sie, die erste 'Grüne Reise', die dann 2017 in der Hamburger Elbphilharmonie ihre große Live-Vollendung fand.

Und bei all dem Grün, dem Kraut und dem Psyche bis hierher wird wohl allen leidenschaftlichen Krauthörern spätestens jetzt ein wahres Meisterwerk des Brian Peter George St. John de Baptiste de la Salle ENO in den Sinn kommen, das tatsächlich im Jahr 1975, besonders bei den insgesamt neun Instrumentals, genau dort ansetzt, wo Reichel vier Jahre zuvor ordentlich durchstartete: „Another Green World“. Der Ex-Keyboarder von ROXY MUSIC machte auch kein Geheimnis daraus, dass genau diese grüne, von ACHIM REICHEL geschaffene Reise ihn dermaßen mit- und gefangennahm, dass er mit „Another Green World“, bei dem ihn beispielsweise auch der Gitarrist ROBERT FRIPP – der Kopf von KING CRIMSON und Loop-Experte ('Frippertronics') – unterstützte, seine Fortsetzung dazu schrieb, die damals, nur vier Jahre später, für viel Aufsehen sorgten, während A.R. & MACHINES bereits in Vergessenheit geraten waren.

FAZIT: Ein historisches Jahr 1971. Denn hier begann eine ganz besondere Reise durch den Kraut- und Psychedelic-Rock, die von einer sich selbstständig machenden Tonbandmaschine ausgelöst und dann zur ganz großen Kunst werden sollte, welche fast ein halbes Jahrhundert benötigte, um wiederentdeckt und live aufgeführt zu werden. „Die grüne Reise“ von A.R. & MACHINES (hinter A.R. verbirgt sich der musikalische Tausendsassa ACHIM REICHEL), die 1971 begann, findet 46 Jahre später als Live-Aufführung in der Hamburger Elblandphilharmonie unter „71/17 Another Green Journey“ ihre Vollendung. Krautrock at his best – und das nunmehr sogar auf einer fantastisch gestalteten und klingenden 3-LP-Edition, bei der jede LP auf andersfarbigen, transparenten Vinyl gepresst wurde. Diejenigen, die noch immer nicht zum Vinyl zurückgefunden haben, dürfen gerne auch zur ähnlich anspruchsvoll gestalteten und mit einem 20-seitigen Booklet voller Bilder versehenen Doppel-CD greifen.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 4827x gelesen, veröffentlicht am )

Unser Wertungssystem:
  • 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
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Wertung: 14 von 15 Punkten [?]
14 Punkte
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Tracklist:
  • Seite A = Live at the Elbphilharmonie Hamburg = (18:02):
  • 1. Melodia Echolalia (1:25)
  • 2. Swingin’ Message (3:17)
  • 3. Perfect World with Little Bugs (7:26)
  • 4. Zhivago Shankar (5:54)
  • Seite B = Live at the Elbphilharmonie Hamburg = (15:05):
  • 1. Lost in a Mirror Maze (5:57)
  • 2. Rockin’ Chair on Cloud 7 (5:01)
  • 3. Echo Boogie (4:07)
  • Seite C = Live at the Elbphilharmonie Hamburg = (13:32):
  • 1. Here Is Your Wake Up Call (5:57)
  • 2. Mermaid in a Whiskeytumbler (7:35)
  • Seite D = Live at the Elbphilharmonie Hamburg = (19:00):
  • 1. Jay Guru Dev (5:15)
  • 2. Another Green Journey (9:11)
  • 3. In the Labyrinth of the Mind (4:34)
  • Seite E = The Green Journey = (21:38):
  • 1. Station 1 – Globus (2:56)
  • 2. Station 1 - Im selben Boot (2:07)
  • 3. Station 2 - Schönes Babylon (5:00)
  • 4. Station 2 - Ich bin dein Sänger, Du bist mein Lied (2:28)
  • 5. Station 3 – Body (1:55)
  • 6. Station 3 - A Book's Blues (1:42)
  • 7. Station 4 - Als hätte ich das alles schon 'mal gesehen (5:28)
  • Seite F = The Green Journey = (19:17):
  • 1. Cosmic Vibration (4:41)
  • 2. Come On (2:54)
  • 3. Wahrheit und Wahrscheinlichkeit (Ein Lexikon zur Selbsterkenntnis) (11:42)

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
  • keine Interviews
Kommentare
Bronco Wheeler
gepostet am: 21.10.2022

User-Wertung:
15 Punkte

Wow, Fantastico -- das ist der absolute Oberhammer --doppelplusgut. Welcome to a very unique & special journey into sounds...enjoy!
Frank Nickel
gepostet am: 17.03.2023

User-Wertung:
15 Punkte

Schön geschriebener Artikel, allerdings ist mir noch in den Sinn gekommen, daß der Achim je auch nur andeutungsweise etwas mit der NDW am Hut gehabt hat.
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
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