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The Ocean: Heliocentric (Review)

Artist:

The Ocean

The Ocean: Heliocentric
Album:

Heliocentric

Medium: CD
Stil:

Artrock / Postrock

Label: Metal Blade
Spieldauer: 50:47
Erschienen: 09.04.2010
Website: [Link]

Teil 4 – Die Komprimierung des Ozeans

I. Einleitung

„Gott ist tot.“
Nietzsches berühmter Ausspruch fährt uns heute immer noch in die Glieder und lässt uns beschämt zu Boden blicken. Wie Recht dieser Mann doch hatte. Doch Gottes „Sterben“ – oder zumindest das Rütteln am unfehlbaren Thron der Kirche – wurde schon weitaus früher eingeleitet. Bereits der in Ägypten geborene, griechische Mathematiker und Astronom Claudius Ptolemäus stellte für die damalige Zeit revolutionäre Theorien auf. Ein Weltbild, in dem die Gestirne als Himmelskörper um die Erde als Mittelpunkt kreisten. Erst sehr viel später entdeckte Kopernikus, dass eigentlich die Sonne das Zentrum des uns bekannten Weltraums ist. So verlief die Entwicklung speziell ab der Aufklärung immer schneller, bis man begann, selbst an einem allmächtigen Gott zu zweifeln, was seinen Höhepunkt in Dawkins` radikalem Atheismus und der stark kritisierten Wissenschaft der Memetik gefunden hat.

II. THE OCEAN 2010

Anno 2008: THE OCEAN um Mastermind Robin Staps wird, nach dem Monsterwerk „Precambrian“, eines der epochalsten Werke des postprogressiven Metals, zu einem unüberschaubaren Kollektiv von über 80 Mitarbeitern und Musikern aufgebläht. Man bestritt Konzerte mit OPETH, THE BLACK DAHLIA MURDER, CULT OF LUNA und ISIS und heimste weltweit hervorragende Kritik für das Doppelalbum „Precambrian“ ein.

Und dann geschah es: Das OCEAN COLLECTIVE zerplatzte wie eine zu große Seifenblase. Die Band wurde aus ihrem selbst aufgebauten Studio „Oceanland“ rausgeworfen. Zahlreiche Musiker warfen das Handtuch, angeblich verschwanden sogar einige spurlos. Der Ozean hatte sie verschlungen...
Anno 2010: Mit neuer Energie wird nun durchgestartet. Robin Staps war nach seinem ambitioniertesten Projekt überzeugt, weitermachen zu wollen und komprimierte THE OCEAN kurzerhand auf eine kleine Basis bestehend aus fünf Mitgliedern. Jeder involviert in den Schreibprozess, jeder mit der Aufgabe belastet, die Kraft eines Kollektivs nun auf ein paar wenigen Schultern zu tragen.

III. Die neue Band

Zusammen mit Jonathan Nido bedient Staps die Sechssaiter, während Louis Jucker für die tiefergelegten Töne und Luc Hess für das Schlagzeug zuständig sind. Am größten ist die Veränderung allerdings vor dem Mikro. Nico Webers, der zu WAR FROM A HARLOTS MOUTH wechselte und Mike Pilat, dem das Tourleben zu Kopf stieg, wurden durch Loic Rossetti ersetzt.

Der Wechsel ist nicht nur spürbar, er ist erschlagend. Rossettis Fokus liegt auf klaren Gesangslinien, anstatt auf aggressiven Shouts, was im THE OCEAN-Kontext erst wie ein Fremdkörper wirkt und sich im Laufe der Zeit doch sehr gut einfügt. Die Konsequenzen derartigen Wandels sind einer näheren Betrachtung auf jeden Fall wert...

IV. Heliocentric – Das Konzept

Die thematische Struktur des neuen Albums „Heliocentric“ – das Bruderalbum „Anthropocentric“ wird später im Jahr veröffentlicht – bezieht sich auf den Wandel der Weltbilder in der Menschheitsgeschichte. Die Erschaffung der Welt durch Gott, das geozentrische Weltbild, später das heliozentrische Weltbild, Aufklärung, Darwinismus und Evolutionstheorie, die Relativitätstheorie und schließlich die völlige Verneinung eines Gottes durch Nietzsche und Dawkins. Diese Entwicklung wird im Album einigermaßen passend wiedergegeben, wobei die Lyrics diesmal wesentlich direkter und persönlicher als noch auf „Precambrian“ ausgefallen sind. Hasserfülltes Gallengespucke darf man nicht erwarten. Eher schicksalhaft und rührend wird Zweifel, Unsicherheit und Skeptizismus in Worte und Musik gegossen.

V. Heliocentric – Die Musik

Die Komprimierung des Ozeans. Vielmehr sollte man diese Überschrift in „Erweiterung der Horizonte“ umschreiben, denn um es mit wenigen Worten zu sagen: THE OCEAN klingen auf „Heliocentric“ teilweise völlig anders, als man sie bisher gehört und erlebt hat.

Die Laufzeiten der Songs bleiben allesamt unter der Acht-Minuten-Marke, was den einzelnen Titeln einen stärkeren Liedcharakter verleiht. Die Arrangements sind wesentlicher luftiger und leichter, nicht mehr so niederdrückend wie auf „Precambrian“. Der extreme Metal, der von „Aeolian“ in Resten noch auf „Precambrian“ erhalten war, ist zum Großteil verschwunden. Grund ist das bereits erwähnte Gesangsorgan des Neuzugangs Rossetti. Seine Stimme wirkt ungewöhnlich „kompatibel“, nicht für die Massen, sondern für zartere Gehörgänge. Sie ist wesentlicher Melodieträger und gibt THE OCEAN ein völlig neues Gesicht, einen Charakter, den man bisher nicht für möglich gehalten hatte.

Die Band wirkt „sympathisch“, greifbar. Sie ist kein namen- und gesichtsloses Kollektiv mehr, sondern eine Rockband zum Anfassen. Die besondere Stimmung ist indes immer noch die gleiche. Die Kompositionen sind gewohnt voller Breaks, unerwarteter Wendungen, dynamischer Stauungen, krachiger Ausbrüche und klassischer Intermezzi. Der Melodie wurde dafür ein wesentlich größerer Platz eingeräumt, manche Songs erhalten infolge dessen eine Eingängigkeit, die einem als eingefleischter OCEAN-Fan Sorgen bereiten könnte.

Ich darf die Fangemeinde beruhigen: Platt oder banal ist auf „Heliocentric“ nichts. Das Gesamtpaket ist sogar sehr viel sperriger als auf „Fluxion“ oder „Aeolian“, die gerade wegen ihrer Straightforward-Riffs manchmal monoton anmuteten.

„Shamayim“ ist ein elektronisches Intro, das an den ruhigen Zwischenteil von „Rhyacian“ erinnert. Mit „Firmament“ gibt es zu Anfang auch gleich den ersten Höhepunkt. Ein komplizierter Riff, der zwar keinen Hardcore oder Sludge mehr repräsentiert, aber fast groovig und proggy loslegt. Der Track ist gewohnt abwechslungsreich und... spannend; eingängig, faszinierend. Die Angst, THE OCEAN wären verweichlicht, ist futsch, stattdessen setzt Begeisterung ein. Und schnell versteht man, warum der stärkere Klargesang ein kluger Schachzug der Band war: die Growlattacken schneiden dadurch umso tiefer ins Mark und verleihen der Musik etwas Enigmatisches, eben jenes Feeling, für das THE OCEAN so bekannt geworden sind.

„The First Commandment Of The Luminaries“ setzt am gleichen Ausgangspunkt an, ein dynamisches Hin und Her aus Violine und E-Gitarre. Allerdings kann mich hier der „Refrain“ nicht wirklich überzeugen, Sänger Rossetti singt leider etwas gegen die Band an, was seltsam kommt.
„Ptolemy Was Wrong“ haut einen schließlich gänzlich vom Hocker. Wer solche Stampfer wie „City In The Sea“ oder „Dead On The Whole“ geliebt hat, wird nicht glauben können, dass der Song von der gleichen Band stammt. „Ptolemy Was Wrong“ ist eine sanfte Pianoballade geworden, die gegen Ende eine leichte Steigerung erfährt, aber ansonsten nicht viel zu bieten hat. Der Schock sitzt erstmal tief.

Das richtige Futter liefert als Ausgleich „Metaphysics Of The Hangman“, das härter durchstartet und eine schöne, melancholische Hookline bereit hält. Langsam findet man sich mit dem neuen Gesicht von THE OCEAN ab. „Catharsis Of A Heretic“ und „Epiphany“ sind kürzere Stücke, die zum Teil mit Piano- und Elektronikeinsätzen gefüllt wurden und sich gut in den Kontext des Albums einfügen.
Den zweiten Höhepunkt stellt „Swallowed By The Earth“ dar, in dem ein hochdramatischer Riff im Zentrum steht und gegen Ende in typischer „Lufthol-und-zuschlag“-Manier den Hörer niederknirscht. Auffällig ist das Zitat des Gitarrenriffs von „Firmament“, welches in „Heliocentric“ an verschiedenen Stellen immer wieder auftaucht. Der Konzeptcharakter wird dadurch gekonnt unterstrichen.
Der dritte Höhepunkt ist das Doppelpack „The Origin Of Species / The Origin Of God“, das alle THE OCEAN-Register einer hochdramatischen Metalsymphonie hervorkramt und in hervorragenden neun Minuten auf die Hörerschaft abfeuert.

VI. Ein Blick in die Glaskugel

... enthüllt nur wabernden Nebel, aber auch ein kleines Licht. Es sind der Erfolg und die Aufmerksamkeit, die sich THE OCEAN spätestens mit „Heliocentric“ mehr als verdient hätten. Mit komplexeren Songs, aber auch stärkeren Melodien und der charismatischen Stimme Rossettis müssten Staps und seine Männer eine wesentlich breitere Hörerschicht erreichen und sie am Ende alle in die Tiefen des Ozeans ziehen. Eines Tages vielleicht...

FAZIT: „Heliocentric“ markiert nach den Tagen des Kollektivs ein neues Kapitel der OCEAN-Geschichte, in dem diese superbe, aber immer noch unterbewertete Band endlich als geschlossene Einheit auftreten darf. Der Sound ist so offen, eingängig und einprägsam wie noch nie. Er wirkt nicht mehr so schwer und zermürbend, aber immer noch epochal und geheimnisvoll. Das Meisterhafte von „Precambrian“ hat „Heliocentric“ nicht erreichen können, aber THE OCEAN haben sich gekonnt aus einer Sackgasse freigeschwommen und Neuland für sich entdeckt. Die typischen Zutaten sind noch erhalten: Postmetalriffs, klassische Instrumente wie Streicher, Piano und Bläser, verschachtelte Songs, variabler Gesang – aber auf einer Ebene, in der die Band mehr denn je Gefilde des intelligenten Artrocks streift und sich damit inzwischen auch den Vergleichen mit NEUROSIS oder ISIS entzogen hat. Gut gemacht... Eine Empfehlung an Freunde anspruchsvoller Musik aller möglichen Spielarten.

Benjamin Feiner (Info) (Review 11243x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 11 von 15 Punkten [?]
11 Punkte
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Tracklist:
  • Shamayin
  • Firmament
  • The First Commandment Of The Luminaries
  • Ptolemy Was Wrong
  • Metaphysics Of The Hangman
  • Catharsis Of A Heretic
  • Swallowed By The Earth
  • Epiphany
  • The Origin Of Species
  • The Origin Of God

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

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  • keine Interviews
Kommentare
Andreas
gepostet am: 08.04.2010

Nach ihrer ersten gesangsfreien EP gefiel mir die Band nicht mehr - und live scheißen sie volles Programm ab. Das braucht dann keiner, wenn man es auf der Bühne nicht umsetzen kann. So etwas verärgert bei so viel Potenzial.
Benjamin [Musikreviews.de]
gepostet am: 08.04.2010

In der Tat sind THE OCEAN keine Band, die Live ein Brüller sind.Das habe ich schon von mehreren hören müssen. THE OCEAN liefern sehr gute Alben ab, die man genießen muss. Aber es ist alles bekanntlich Geschmackssache...
Benny
gepostet am: 13.04.2010

User-Wertung:
14 Punkte

Schwachsinn.. The Ocean sind eine der besten live-bands die ich je gesehen habe, und ich habe sie 5 mal gesehen.
Andreas
gepostet am: 13.04.2010

Klar wenn die Hälfte aus der Konserve kommt. Wenn dann der PC streikt, steht man betreten da. Sorry, aber das war mein Eindruck.
debaser
gepostet am: 11.05.2010

aber das ist nun mal das konzept....technisch anspruchsvoll...auf höchstem level...und live gehen die jungs ja wohl richtig ab....speziell der bassist ist ein TIER...
Andreas
gepostet am: 11.05.2010

Der Bassist ist doch ständig ein anderer ... Technisch ist das alles so wild nicht, auch wenn die Songs komplex sind. Der letzte Basser, den ich von ihnen auf dem Schirm habe, spielte übrigens auch für Sarah Connor :-)
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