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Interview mit Chrysalis (10.06.2004)
Frankreich gilt nicht unbedingt als Europas Metal Export Land Nummer 1 - die deutsch-französische Gemeinschaftsproduktion Chrysalis hat mit seiner letzten EP "Breaking Illusions" dennoch ein absolut gutklassiges Prog Metal Scheibchen abgeliefert, das Appetit auf's erste Album macht!
Drummer Maxim Lehmann gibt willig Auskunft ...
Hallo Max,
Ist ja schon etwas her, seit eure letzte EP "Breaking Illusions" rausgekommen ist. Wie sieht's denn mittlerweile mit eurem nächsten Album aus?
Hallo Nils! Mit dem nächsten Album sieht es ganz gut aus. Als wir "Breaking Illusions" aufgenommen hatten, waren eigentlich schon genug Songs für ein ganzes Album. Wir wollten aber nur ein EP veröffentlichen, um ein erstes Feedback zu bekommen: Was würde man von unserer Musik halten? Wo liegen unsere Stärken und Schwächen? Es ist grundsätzlich interessant und lehrreich, sich verschiedene Meinungen anzuhören, obgleich wir mir mit denen nicht immer einverstanden sind! Außerdem ist BI eine Eigenproduktion, und ein ganzes Album wäre ja ein finanziell großes Risiko gewesen ... Jetzt haben wir die "Qual der Wahl": Wir haben ältere Songs, die wir "aktualisieren" könnten, und neue Songs, die eigentlich "direkter" und "heavier" sind.
Schwierig wird es jetzt, die richtige Wahl zu treffen! Eins ist aber quasi sicher: Wir werden einige Songs von BI wieder aufnehmen und es wird wieder eine Multimedia Section geben.
Wird sich musikalisch irgendetwas ändern?
Wie schon gesagt klingen einige Songs direkter; allerdings hatten wir nicht wirklich die Absicht, jetzt mal richtig "heavy" zu spielen; es hat sich so ergeben!! Wir entwickeln uns weiter, haben neue Erfahrungen gesammelt, hören uns neue Rock, Metal, Jazz Bands an; Und so entwickelt sich auch unsere Musik. Die musikalischen Merkmale von BI, wie zum Beispiel die Jazz/Fusion Elemente, sind also noch vorhanden. Aber "rhythmisch" klingt es heavier und aggressiver, mit mehr "Punch".
Wenn ich richtig informiert bin, habt ihr "Breaking Illusions" auf eigene Kosten herausgebracht. Hat mittlerweile ein Label bei euch angebissen? An der Qualität eurer Songs gemessen sollten die Labels doch eigentlich Schlange stehen, oder nicht?
Schon wäre es!! Zur Zeit haben wir 1-2 mögliche Deals mit Labels. Sicher ist aber noch nichts... Wer heute Musik machen will, oder noch besser "Prog Rock/Metal" machen will, muss sich wirklich mit viel Geduld, Leidenschaft und Mut wappnen. So sieht nämlich die Realität aus: Alle Labels, die auf unsere Briefe oder Emails geantwortet haben, finden unsere Musik gut, manchmal sogar sehr gut; außerdem sind fast alle Rezensionen über BI positiv ... aber es werden einfach kaum neue Bands unter Vertrag genommen! Natürlich gibt es Labels, die bereit sind, deine CD zu vertreiben...
Das war's aber auch schon. Du musst aber die Produktion (Studio, Cover ...) selbst finanzieren. Wer kann sich das schon leisten? Tja, und Progmetal ist auch nicht gerade eine kommerzielle Musik, daher sind noch weniger Labels daran interessiert, uns finanziell zu unterstützen. Außerdem steckt die ganze Musikindustrie in der Krise wegen des Internets. Wie du weißt, kann sich jetzt jeder seine Musik kostenlos downloaden. Die CD Brenner sind auch so eine Plage; selbst kleine Bands wie wir sind betroffen. Ich habe selbst erlebt wie Leute unsere CD toll fanden und meinten, sie werden sie irgendwann kopieren!! Jeder weiß, dass es illegal ist, macht aber jeder! Die Leute verstehen einfach nicht, dass sie dadurch die Musik "töten". Wir hoffen also wirklich, dass es trotzdem mit einem Label klappen wird, so dass wir weiter unsere Leidenschaft mit Menschen teilen können.
Eure Musik auf "Breaking Illusions" erinnert mich stark an Dream Theater zu "Images And Words" Zeiten. Im Jahr 2000 habt ihr die Single >Wishmaker< aufgenommen. Der Track sollte auf einer CD des Dream Theater Fan Clubs erscheinen. Was hatte es mit damit auf sich? Und warum hat die Veröffentlichung letztlich doch nicht geklappt?
Wir hatten die Typen von Your Majesty auf einem Dream Theater Konzert getroffen. Sie wollten eine CD mit französischen Bands veröffentlichen. Wir sagten also, dass wir bald "Wishmaker" aufnehmen wollten. Die Demoversion fanden sie gut, also wollten sie uns auf der CD haben. Als es endlich soweit war, sagten sie uns, dass es doch "aus finanziellen Gründen" nicht klappen kann. Wir waren natürlich sehr enttäuscht, und das hat - unter anderem - zum "Split" von Heresy (so hieß die Band damals) beigetragen. Der Song an sich war aber sehr heavy, und hatte kaum was mit dem "Dream Theater Stil" zu tun.
Als Progmetal Band ist es wirklich schwierig, sich einen Namen zu machen. Es gibt kaum eine andere Musikrichtung, die so sehr von EINER Band "dominiert" wird. Sie haben halt musikalische Maßstäbe gesetzt! Mir ist aufgefallen, dass neue progressive Bands fast grundsätzlich mit DT verglichen werden. DT ist eine große Band, die mit Images and Words und Awake Geschichte geschrieben hat; sie haben also viele Bands beeinflusst, das ist unbestritten. Ich finde allerdings, dass BI ganz anders als I and W klingt; natürlich sind einige "typisch progressive" Parts dabei, wie etwa am Ende von "Behind the Mask", aber insgesamt sind viele andere Aspekte (Jazz Elemente, afro kubanische Rhythmen...), die bei DT nicht vorhanden sind. Ich meine, es ist natürlich eine Ehre, mit DT verglichen zu werden, aber unsere Musik hat auch etwas Eigenständiges.
Chrysalis scheint eine deutsch-französische "Gemeinschaftsproduktion" zu sein. Wie kam es dazu? Wohnst du mittlerweile in Frankreich? Oder verlagern sich eure Bandaktivitäten eher nach Deutschland?
Eigentlich wohnen wir alle in Frankreich! Mein Vater ist Deutscher, so dass ich in einem deutsch-französischen Milieu aufgewachsen bin. Mittlerweile wohne ich in Metz. Vor vier Jahren habe ich Philippe kennengelernt; damals spielte er in dieser Band namens Heresy und sie suchten einen Drummer. Es klappte ganz gut und ich war ganz begeistert, da ich immer in so einer Band spielen wollte. Leider hat sich die Band nach zwei Jahren aufgelöst. Musikalisch wollten Philippe, Erwan und ich progressiver klingen, kreativer sein, was mit den damaligen Mitgliedern nicht möglich gewesen wäre. Später trafen wir Ghislain am MAI (Music Academy International) in Nancy. Wir verstanden uns sofort sehr gut und er integrierte Chrysalis! Da fehlte nur noch der Sänger... Philippe hörte dann von Patrick, der zunächst nicht sicher war, auf dieser Musik singen zu können, dann sagte er doch zu. Ghislain kommt eigentlich aus Paris, wohnt aber jetzt in Nancy. Erwan wohnt in Toulouse. Die Leidenschaft ist aber stärker als die Entfernung! Wir proben als komplette Band eigentlich selten, trotzdem klappt es ganz gut. Es ist nur eine Frage der Organisation. Was unsere Bandaktivitäten angeht, bin ich für die internationalen Kontakte zuständig. Ich versuche aber, in Deutschland viele Kontakte zu knüpfen, da Metal doch recht beliebter ist als in Frankreich. Es gibt so viele Festivals, Labels, Zeitschriften und Bands! Dementsprechend sind die Chancen, sich einen Namen zu machen, größer.
Die Altersunterschiede in der Band sind recht hoch. Kommt es dadurch manchmal zu Reibereien oder versteht ihr euch alle bestens?
Patrick ist 38, Philippe, Erwan und ich sind 25, Ghislain ist mit 23 der Jüngste. Ich muss sagen, dass wir uns trotz dieser Altersunterschiede musikalisch und menschlich ganz gut verstehen. Klar kann es ab und zu zu kleinen Reibereien kommen, aber das gehört nun mal zum Leben einer Band. Jeder darf und soll seine Meinung äußern... Hauptsache ist, dass alle am Ende mit mir einverstanden sind!! Das wichtigste ist eigentlich die Einstellung zur Musik. Ich glaube, dass es in diesem Genre besonders schwierig ist, die richtigen Leute mit der richtigen Einstellung und Motivation zu finden. Die eigentliche Frage ist also, wie wichtig einem Musik ist. Eins ist klar: Halbe Sachen bringen nichts!
Wo liegt deiner Meinung nach der größte Unterschied zwischen der deutschen und französischen Musikszene? Vor allem im Metal und Rock Bereich?
Wie ich schon gesagt habe: Das Interesse am Metal ist in Deutschland einfach größer! Metal hat in Frankreich nach wie vor einen schlechten Ruf. Mit dieser DSDS Mode (gibt es auch bei uns...) ist es noch schlimmer geworden. Die meisten Leute wollen nur noch frischgebackene "Popstars" sehen und hören.
Außerdem gibt es in Frankreich seit einigen Monaten eine echte Krise im Kultur Bereich: Künstler oder Techniker demonstrieren fast täglich. Sie kämpfen für das Recht, von ihrer Kunst leben zu dürfen. Musik wird meiner Meinung nach viel zu wenig gefördert. Du kannst dir also vorstellen, wie das im Metal Bereich ist ... Kaum Konzerte, Festivals, keine finanzielle Unterstützung usw. zumindest für junge Bands. Wie es in Deutschland ist, weiß ich jetzt nicht genau, aber mir kommt es vor, als sei die Rock/Metal Kultur doch viel ausgeprägter. Es finden so viele Festivals in Deutschland statt! In Frankreich kann man nur davon träumen...
Eure Songs zeichnen sich nicht unbedingt durch simple Songstrukturen aus - gibt es da manchmal Probleme, das ganze live umzusetzen?
So kompliziert sind sie ja auch wieder nicht! Die Songs live umzusetzen ist nicht problematisch ... Die technischen Bedienungen sind leider meistens nicht optimal, so dass wir oft kaum hören, was der andere spielt. Zum Glück kennen wir die Songs auswendig! Außerdem spiele ich mit einem Click Track; dadurch ist ein präzises Drumming gewährleistet, und die Jungs haben ein besseres und sichereres Spielgefühl.
Mittlerweile nennt sich jede Band "progressiv", die mehr als drei Akkorde beherrscht und sich nicht dauernd verspielt. Was macht Chrysalis Musik progressiv?
Meine Definition von "progressive music" ist einfach: Es ist eine "offene" und freie Musik, die keine musikalischen Grenzen hat. Die Lust am Experimentieren, Stilrichtungen miteinander mischen ... Das kennzeichnet eine progressive Band, egal ob Rock, Metal oder sogar Jazz. Diese "crossover" Sachen finde ich ganz toll: Im Moment höre ich Gotan Project: Eine Mischung aus Jazz, Tango und modern Beats! Einfach genial!! In Chrysalis versuchen wir auch, "offen zu bleiben", indem wir musikalische Elemente, die für Metal nicht unbedingt typisch sind, in die Songs integrieren. Dabei kann es sich um Rhythmen, Melodien oder Harmonien handeln. In Behind the Mask gibt es zum Beispiel diesen afro-kubanischen Rhythmus, den ich am Anfang der Instrumental Section spiele, dann macht Philippe so eine salsatypische Pianomelodie. Das macht einfach riesen Spaß! Außerdem kann es zu rhythmischen Variationen kommen: In Breaking Illusions wird die Bridge zuerst binär, dann aber ternär gespielt; dadurch klingt es heavier. Wir versuchen einfach, kreativ zu sein. Die Kunst besteht darin, das musikalische Chaos zu vermeiden!
Kannst du zum Abschluß noch eine Prog Band empfehlen, die kaum jemand kennt, aber jeder kennen sollte?
Eigentlich höre ich in letzter Zeit wenig Progmetal ... Ark ist aber eine tolle progressive Band, die nicht sehr bekannt ist, aber genial ist. Die Band Dali's Dilemma hat ebenfalls ein einziges aber unglaubliches Album veröffentlicht: Muss man gehört haben! Ich meine, es gibt so viele tolle Bands und Künstler, die kaum jemand kennt. Durch das Internet hat man aber jetzt die Möglichkeit, so viele Bands zu entdecken; man muß diese Künstler unterstützen! Und ihre CDs kaufen...
Nils Herzog
(Info)